Wardrobing, Bracketing & Co.: Retourenbetrug erkennen & vorbeugen

Ein junges Paar aus dem niedersächsischen Vechta bestellt systematisch Waren in verschiedenen Online-Shops. Kurz nach Erhalt der Pakete widerrufen sie die Bestellungen und bekommen ihr Geld zurück – auf den ersten Blick vollkommen unauffällig.Doch was die Händler zurückbekommen, sind keine ordnungsgemäßen Retouren: Stattdessen landen leere Kartons oder minderwertige Ersatzartikel im Lager.1
Das Paar soll seinen Trick sogar gegen Provision für Dritte angeboten haben. Der Schaden für die betroffenen Händler? Schätzungen zufolge liegt er im unteren sechsstelligen Bereich.
Was wie eine ausgeklügelter Einzelfall wirkt, ist in Wahrheit ein wachsendes Problem im E-Commerce: Retourenbetrug. Laut einer Studie des Handelsverbands Deutschland (HDE) entstehen deutschen Online-Händlern jährlich Schäden in Millionenhöhe – allein im Jahr 2023 gingen schätzungsweise 400 Millionen Euro Umsatz durch betrügerische Rücksendungen verloren.2
Was genau ist Retourenbetrug?
Retourenbetrug bezeichnet verschiedene betrügerische Handlungen im Zusammenhang mit Rücksendungen. Im Englischen spricht man von Return Fraud, ein Begriff, unter dem sich gleich mehrere Betrugsmaschen verbergen. In den meisten Fällen wird das Rückgaberecht missbraucht – oft so geschickt, dass es erst spät oder gar nicht auffällt. Ein Grund ist, dass aufgrund der hohen Retourevolumen einzelne Rücksendungen nur unzureichend geprüft werden.
Was ist der Unterschied zwischen Retourenmissbrauch und tatsächlichem Betrug?
Unerwünschte Rücksendepraktiken bewegen sich auf einem ethischen Spektrum von „grenzwertigem“ Verhalten bis hin zu eindeutig strafbaren Betrugshandlungen. Klar ist: Egal, wie man es nennt – alle der hier genannten Kundenverhalten schaden der Marke, kosten Geld und gefährden die Wirtschaftlichkeit eines Online-Shops.
Die häufigsten Arten von Retourenbetrug
Unerwünschtes, aber (noch) nicht strafbares Kundenverhalten
Bracketing
Kunden, die Bracketing betreiben, bestellen mehrere Varianten eines Artikels (z. B. verschiedene Größen oder Farben) mit der Absicht, die meisten wieder zurückzuschicken. Auch kommt es vor, dass Kunden verschiedene Artikel bestellen, um diese miteinander zu vergleichen. Bracketing zeichnet sich dadurch aus, dass Kunden schon beim Kauf wissen, dass sie am Ende nur einen oder wenige Artikel behalten werden.
Bracketing ist nicht unbedingt Betrug. Für viele Fashion-Brands gehört es sogar zum Geschäftsmodell. Dahinter steckt der Kundenwunsch, beim Online-Shoppen den gleichen Komfort und Service eines Ladenbesuchs zu genießen – inklusive der Umkleidekabine. Daher planen viele Kunden Retouren bereits vor dem Checkout mit ein.3
Laut einer Umfrage von Business Insider haben bereits 60 % der Online-Shopper schon einmal Bracketing betrieben.4 Bracketing ist also keine Ausnahme mehr, sondern wird immer mehr zur Gewohnheit. Gerade für kleinere Shops ist das problematisch, denn Bracketing verursacht unnötige Retouren, beansprucht Lager- und Versandressourcen und verringert die Wirtschaftlichkeit einzelner Bestellungen deutlich.
Rückversand von Artikeln, die eigentlich vom Umtausch ausgeschlossen sind
Noch nicht strafbar aber unerwünscht, ist der Versuch, Produkte zu retournieren, die von Rückgaben ausgeschlossen sind. Dazu gehören:
- Rücksendungen nach Ablauf der Rückgabefrist, bei denen sich Kunden auf Kulanz verlassen,
- das Retournieren von Hygiene- oder personalisierten Produkten, die laut der Rückgaberichtlinie ausgenommen sind,
- der Versuch, Produkte mit fehlendem Originalzubehör oder Etiketten als vollständig zurückzugeben.
Dieses Verhalten belastet Händler finanziell und bedeutet einen hohen Zeitaufwand für Teams, die ihre Ressourcen in die manuellen Abwicklung dieser Retouren investieren müssen.
Wardrobing
Ein besonders häufiges Beispiel für unerwünschtes Retourenverhalten ist das sogenannte Wardrobing. Dabei bestellen Kunden beispielsweise Kleidungsstücke mit der Absicht, sie nur einmal – etwa für ein Event oder ein Foto – zu tragen und anschließend zurückzugeben.
Die Artikel werden oft so genutzt, dass keine starken Gebrauchsspuren entstehen, wodurch sie formal als „neuwertig“ gelten und zurückgegeben werden können. Obwohl dieses Verhalten für Händler mit hohen Kosten verbunden ist – etwa durch Wertverlust oder Ausschluss vom Wiederverkauf – ist es rechtlich kaum angreifbar. Solange die Rückgabe innerhalb der gesetzlichen Widerrufsfrist erfolgt und der Artikel weitesgehend unbenutzt erscheint, besteht in der Regel ein Anspruch auf Rückerstattung.
Auch Wardrobing wird immer mehr zur Gewohnheit. Eine Umfrage von Optoro ergab, dass 69 % der Befragten mindestens einmal “Wardrobing” betrieben haben.5
Wardrobing liegt tatsächlich in einer Grauzone. Das Ziel von Wardrobing ist es, einen Artikel zu nutzen ohne zu zahlen, aber so, dass es noch legal bleibt. Bei der Rückgabe von offensichtlich benutzten Artikeln können Händler die Rücknahme hingegen verweigern oder sogar rechtlich gegen wiederholte Täuschung vorgehen.
Falsche Rückgabegründe
Ein weiteres Beispiel für unerwünschtes Verhalten im Retourenprozess ist die bewusste Angabe falscher Retourengründe. Um etwa Versandkosten zu sparen oder strengere Rückgaberegeln zu umgehen, wählen Kunden dabei gezielt Begründungen wie „defekt“ oder „falscher Artikel erhalten“ – obwohl das Produkt keinem dieser Kriterien entspricht.
Dieses Verhalten verfälscht nicht nur die Datenlage, auf deren Basis Händler Retouren analysieren und optimieren, sondern erschwert auch eine differenzierte Bewertung der Produktqualität. Besonders problematisch wird es, wenn Rücksendegründe systematisch manipuliert werden – denn daraus können fehlerhafte Entscheidungen in der Sortimentsgestaltung oder Produktentwicklung resultieren.
Retourenbetrug (strafrechtlich relevant)
Leere Rücksendungen (wie im Fall Vechta)
Der häufigste Fall von Retourenbetrug ist die Rücksendung leerer Pakete. Kunden behaupten, ein Artikel zurückzuschicken, füllen das Paket aber mit wertlosen Gegenständen – etwa Papier, Verpackungsmüll oder billigen Ersatzprodukten – oder lassen es ganz leer. Die Originalware behalten sie für sich, während sie auf eine Rückerstattung hoffen. Dieser Betrug ist besonders schwer zu erkennen, wenn die Ware erst verspätet geprüft wird.

Manipulierte Rücksendeetiketten
In einem anderen Szenario verändern Kunden das Rücksendeetikett gezielt – etwa durch Austausch der Trackingnummer oder durch den Versand eines anderen Pakets mit gleichem Gewicht. In einigen Fällen wird das Paket sogar gar nicht abgeschickt, während der Absender vorgibt, es fristgerecht retourniert zu haben. Die Originalware befindet sich also beim Kunden, den Kaufpreis bekommt er trotzdem erstattet.
Kauf mit gestohlener oder geliehener Kreditkarte
Bei dieser Form des Betrugs wird eine Bestellung mit einer fremden oder gestohlenen Kreditkarte getätigt. Nach Erhalt der Ware wird beim Händler die Rückgabe eingeleitet – jedoch mit der Bitte, das Geld auf ein anderes (das eigene) Konto zurückzuerstatten. Ziel ist es, die Rückzahlung abzufangen, bevor der ursprüngliche Kreditkarteninhaber den Betrug bemerkt. Diese Methode vereint Elemente des Zahlungsbetrugs und des Identitätsmissbrauchs.
Auch die Fälschung von Geschenk- und Gutscheinkarten wird immer häufiger. In einer Umfrage berichten 55 % der Händler von Fällen, in denen Waren mit gestohlenen oder gefälschten Zahlungsmitteln gekauft und anschließend zurückgegeben wurden.6
Behauptung, dass eine Bestellung nie angekommen sei
Auch der vorgetäuschte Nicht-Erhalt einer Lieferung zählt zu den klassischen Betrugsmaschen im E-Commerce. Kunden geben an, die Bestellung sei nie bei ihnen angekommen – obwohl die Ware erfolgreich zugestellt wurde. In der Hoffnung auf eine erneute Lieferung oder eine Rückerstattung täuschen sie einen Versandfehler oder Paketverlust vor.
Was können Online-Händler gegen Retourenbetrug tun?
Ganz verhindern lässt sich Retourenbetrug (leider) nicht. Aber mit einem intelligenten Retourenmanagement und gezielten Maßnahmen kann man das Risiko deutlich senken:
1. Kostenpflichtige Rücksendungen bei Retourenbetrug einführen
Gezielt eingesetzt, können kostenpflichtige Retouren ein wirksames Mittel gegen Retourenmissbrauch sein. Für Kunden mit auffälligem oder häufig problematischem Rücksendeverhalten können Händler individuelle Rückgaberegeln festlegen – etwa verkürzte Rückgabefristen oder kostenpflichtige Retouren.
Retourenplattformen wie 8returns ermöglichen es, solche Regeln automatisiert und segmentbasiert anzuwenden.
2. Retourenverhalten analysieren
Einzelne Kunden, die systematisch viele Artikel kaufen und wieder retournieren, fallen oft zu spät auf. Ein Scoring – z. B. über KI-basierte Analyse-Tools – kann helfen, verdächtiges Verhalten frühzeitig zu erkennen.
Tritt vermehrt Bracketing auf, ist das auch ein Indikator für eines der zentralen Probleme des Onlinehandels: Die Schwierigkeit, persönliche Vorlieben allein anhand digitaler Produktinformationen richtig einzuschätzen.
Durch gezieltes Kundenfeedback zu Retouren können Händler die tatsächlichen Ursachen für Rücksendungen besser verstehen – etwa Passformprobleme oder unklare Produktbeschreibungen – und entsprechende Anpassungen vornehmen. Schon kleine Maßnahmen wie präzisere Größentabellen oder aussagekräftigere Produktfotos helfen, unbeabsichtigte Formen von Bracketing zu reduzieren.
3. Rückgaberichtlinien klar kommunizieren
Laut eines Berichts von Appriss Retail and Deloitte, gaben 84 % der Einzelhändler an, ihre Rückgaberichtlinien in 2024 geändert zu haben, um Betrug entgegenzuwirken.6
Zentral ist, die Rückgaberichtlinien klar und verständlich zu kommunizieren. Neben allgemein gültigen Regeln können auch differenzierte Modelle sinnvoll sein, zum Beispiel kürzere Rückgabefristen für hochpreisige oder besonders anfällige Artikel.
Transparenz ist hier das A und O: In der Rückgaberichtlinie sollte unmissverständlich benannt werden, was erlaubt ist und was nicht – etwa, dass nur ungetragene Ware mit Originaletikett zurückgenommen wird oder dass eine Rückgabe nach Fristablauf ausgeschlossen ist. Je eindeutiger die Regeln formuliert sind, desto schwieriger wird es für Betrüger, sich in Graubereichen zu bewegen.
Fazit
Retouren gehören zum Onlinehandel – aber nicht jedes Rücksendeverhalten ist harmlos. Zwischen Kulanz und Betrug liegt ein breites Spektrum unerwünschter Praktiken, die für Händler vor allem eines sind: teuer. Umso wichtiger ist es, Rücksendungen nicht nur operativ abzuwickeln, sondern aktiv zu steuern: durch datenbasierte Analysen, klare Rückgaberichtlinien und gezielte Maßnahmen für auffällige Kundensegmente.
Wer Transparenz schafft und Verhaltensmuster früh erkennt, schützt nicht nur die Marge, sondern stärkt auch das Vertrauen in die Marke.
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